Fabio Polly spricht in diese Spezialfolge von "Ganz offen gesagt" mit seinen Gesprächspartner:innen darüber, was die Demokratie überhaupt ist, welche Vorteile sie hat, ob sie zerbrechlich ist und welchen Gefahren sie ausgesetzt ist und wie sie sich gegen Unterwanderungstendenzen wehren kann. Dies ist die erste Folge der fünfteiligen Serie "Demokratie in Gefahr".
Im ersten Teil einer fünfteiligen Spezial-Serie von "Ganz offen gesagt" zum Thema "Demokratie in Gefahr" beschäftigen sich Host Fabio Polly und seine Gäste mit den Fragen was die Demokratie überhaupt ist, welche Vorteile sie hat, ob sie zerbrechlich ist und welchen Gefahren sie ausgesetzt ist und wie sie sich gegen Unterwanderungstendenzen wehren kann. Stefanie Fridrik forscht zu kritischer Politischer Bildung an der Schnittstelle zu künstlerischer und aktivistischer Praxis und beleuchtet vor allem die Notwendigkeit eines konfkliktuellen Austausches, bei dem Gegner:innen aber keine Feind:innen in einem dynamischen Modell des Miteinanders aufeinandertreffen. Für Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor Michael Schottenberg ist die Demokratie das "wahrscheinlich wichtigste Gut, das wir überhaupt haben und das es zu verteidigen gilt". Es sei extrem wichtig, eine andere Meinung zu hören und zu verstehen, aber halt auch extrem anstrengend. Lucian Mayringer ist Innenpolitik-Journalist bei den "Oberösterreichischen Nachrichten" betont, dass in einer elaborierten Demokratie nicht nur Mehrheitsansprüchen entsprochen wird, sondern auch Minderheiten möglichst weit berücksichtigt werden sollten.
Links zur Folge:
Michael Schottenberg (Wikipedia)
Podcast "Die Dunkelkammer" von Michael Nikbakhsh
Demokratie bedeutet, dass nicht nur Mehrheitsansprüchen entsprochen wird, sondern dass auch Minderheiten möglichst weit berücksichtigt werden.
Es ist wahrscheinlich das wichtigste Gut, das wir überhaupt haben und das es zu verteidigen gilt.
Demokratie bedeutet auf jeden Fall mehr, als zur Wahl zu gehen.
Herzlich Willkommen bei einer Spezialfolge des Podcasts "Ganz offen gesagt". Mein Name ist Fabio Polly und Sie hören gerade die erste Folge einer fünfteiligen Spezialreihe zum Thema Demokratie in Gefahr. Ich werde mit verschiedenen Gästen darüber reden, was die Demokratie überhaupt ist, welche Vorteile sie hat, welchen Gefahren sie ausgesetzt ist und wie sie sich gegen Unterwanderungstendenzen wehren kann.
Herzlich Willkommen bei „Ganz offen gesagt“ und beim Spezialpodcast zum Thema Demokratie.
Ich heiße Fabio Polly, ich war 45 Jahre lang als Journalist im öffentlich-rechtlichen ORF Radio tätig, vorwiegend bei Ö1 und bin jetzt freier Podcaster. Gleich vorweg, wir halten es bei ganz offen gesagt ja mit Transparenz. Weil ich nicht nur eine Gesprächspartnerin bzw. einen Gesprächspartner habe, sage ich es gleich am Anfang. Keine und keiner von meinen heutigen Gesprächspartnern arbeitet für eine Partei oder eine Vorfeldorganisation. Ich werde dort, wo es angebracht ist, auch klar machen, woher ich sie kenne und warum ich mit einigen per Du bin. Aber jetzt gleich zur Sache.
Demokratie, was ist das überhaupt? Was bedeutet sie? Und wie zerbrechlich ist sie? Wie wehrhaft muss sie sein, um bestehen zu können? Und wie leicht ist es, sie zu unterwandern? Das sind ein paar Fragen, die im ersten Demokratie-Podcast untersucht werden sollen.
Demokratie heißt zunächst einmal Herrschaft des Volkes und ist in der klassischen Staatsformenlehre besonders der Antike als Alternative zur Monarchie gesehen worden, so kann man es im Lexikon nachlesen. Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat mit einem Satz einmal eine Kurzformel begründet. Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk. Fragen wir nach bei Stefanie Fridrik. Sie forscht zu kritischer politischer Bildung an der Schnittstelle zu künstlerischer und aktivistischer Praxis. Stefanie Fridrik studierte Kunstgeschichte und Komparatistik an der Universität Innsbruck und der Universität Wien und arbeitete seit 2018 zudem als Kunstvermittlerin im musealen und freien Bereich. Zwischen 2020 und 2022 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt AGONART am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien tätig und forschte dabei zu Kulturpolitik in Österreich. Seit 2022 promoviert sie am Institut für Kunstpädagogik an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Projektmanagerin und Trainerin am Demokratiezentrum in Wien. Eine ausgewiesene Expertin also. Was ist denn nun Demokratie in Theorie und Praxis, Stefanie Fridrik?
Ich möchte mit der Theorie-Ebene anfangen und da ist mein Demokratieverständnis von einem agonistischen Konzept, also einer für mich in einem demokratischen Zusammenleben und Zusammensein, der Konflikt einen besonders bedeutenden Wert hat. Nebenwerten wie Kooperation, Zusammenarbeit, Partizipation, Koproduktion etc. Dieser Konflikt oder diese konfliktuellen Konstellationen sind dazu da, dass wir uns über Machtverhältnisse, die in unseren demokratischen Gesellschaften konstituiert sind, die diese mitprägen, bedingen, einerseits klar werden und diese aber andererseits auch hinterfragen. Das heißt, dass wir in einen konfliktuellen Austausch treten darüber, welche Hegemonien, das heißt normativen Wertsetzungen, dominant sind, eine Vormachtstellung haben und dann hinterfragen, inwiefern dadurch Einschlüsse und Ausschlüsse, Diskriminierungen, Privilegien und so weiter entstehen. Das alles ist quasi eine hegemonietheoretische Vorstellung von gesellschaftlichen Ordnungen.
Dieses permanente Ringen darum, wer die Vormachtstellung hat. Dieses Ringen ist in einem hegemonietheoretischen Verständnis antagonistisch. Das heißt, es geht auch darum, dass eine Hegemonie die andere Hegemonie oder eigentlich eine hegemoniale Formation die andere auch übernimmt, vereinnahmt und damit auch zu einem gewissen Grad auslöscht. Das wäre dann das Politische. Also dieses Ringen, dieser Wettstreit wäre das Politische in einer demokratischen Politik. Der Agonismus oder ein agonistischer Pluralismus schließt an oder basiert auf diesem hegemonietheoretischen Verständnis, übersetzt aber diese antagonistische Dimension von sozialen gesellschaftlichen Ordnungen in einen sogenannten nicht existenziellen Wettstreit. Das heißt, dass bei diesem Wettstreit Gegnerinnen aufeinandertreffen, aber nicht Feindinnen.
Das heißt, diese Gegnerinnen werden als einander gegenüber legitim wahrgenommen und auf Augenhöhe. Und diese Legitimität wird einander auch nicht abgesprochen. Das wäre quasi ein agonistisches, demokratisches Verhandeln in der Theorie. So eine Art von Verhandlung bedeutet auch, dass wir uns auf eine gewisse basale Ordnung einigen müssen, also Akzeptanz entwickeln müssen für gewisse gemeinsame Werte. Und was diese Werte dann genau sind, beziehungsweise wie diese ausgelegt werden, braucht aber auch eine gewisse Offenheit, eine gewisse Beweglichkeit, um über diese auch streiten zu können. Das wäre eben dieses politische Aufeinandertreffen. Und genau dieses als einander legitim wahrnehmende, aber streitbare, konfliktuelle Aufeinandertreffen von gesellschaftlichen Akteurinnen, das können menschliche Akteurinnen sein, das können aber auch nicht menschliche Akteurinnen sein, das heißt, das können auch Institutionen sein, bedeutet lebendige Demokratie laut der belgischen Politologin Chantal Mouffe, an die ich mit diesem theoretischen Konzept natürlich ganz stark anknüpfe.
Demokratie also nicht nur als ein Flechtwerk von Gesetzen und Regeln, die uns Rechte einräumen und Pflichten auferlegen, sondern auch als dynamisches Modell des Miteinander.
Eine sehr praxisnahe Annäherung hat Michael „Schotti“ Schottenberg. Er war erfolgreich als Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor und Dancing Star. Jetzt ist er es als Reiseschriftsteller, der sich schon zahlreiche Länder angesehen hat und von dort mit vielen Beobachtungen und Erfahrungen immer wieder in das liberale und demokratische Österreich zurückkehrt. Den Schotti kenne ich durch einen beruflichen Kontakt schon ein paar Jahre. Wir haben uns angefreundet und sind per Du. Schotti sieht die Frage nach der Bedeutung der Demokratie auch aus einer kulturpolitischen Perspektive:
Es ist wahrscheinlich das wichtigste Gut, das wir überhaupt haben und das es zu verteidigen gilt. Demokratie, ein demokratisches System heißt, eine Meinung frei äußern zu dürfen, zur Wahl gehen zu dürfen, ein politisches System auch hinterfragen zu dürfen, auch gehört zu werden, es auch öffentlich kundtun zu dürfen. Demokratie heißt Freiheit des Gedankens und das hat schon Schiller gefordert. Eine andere Meinung hören und verstehen ist extrem wichtig, ist extrem anstrengend, aber es ist extrem wichtig. Nur das kann unsere Gesellschaft aufrechterhalten.
Als Reiseschriftsteller bist du sehr viel in der Welt herumgekommen, hast sehr viel gesehen. Wie ist denn das, wenn man zurückkommt in einen Staat nach Österreich, der ein westlich-liberales Demokratie-Modell pflegt, das aber, das ist jetzt jedenfalls meine Meinung, unter Druck geraten ist? Wie fühlst du dich da?
Das ist eine gute Frage. Ich fühle mich sowieso immer frei. Reisen hat mit Neugier, mit Abenteuer, mit Freiheit zu tun, mit der Suche nach etwas Neuem. Das ist Reisen. Reisen ist immer auch akzeptieren des Fremden, Akzeptieren einer anderen Kultur, eine Neugierde auf Banal, auf andere Geschmäcker, auf andere Gerüche, auf andere Farben, auf Einflüsse, vielleicht auch auf andere Religionen, möglicherweise auch auf andere politische Systeme. Das hat alles mit Neugier, mit Akzeptanz gegenüber dem Anderen zu tun.
Das ist mal per se mein Zugang zu Denkenden. Allerdings, eines ist klar, ich muss woanders, in der Fremde, in einem anderen Land auch zu einer anderen Kultur sehr offen und sehr positiv und sehr demütig gegenüberstehen. Das erwarte ich logischerweise auch von Menschen, die in unser Land kommen. Auch hier sind Regeln zu akzeptieren. Wenn ich zurückkomme und ich bin begeistert von Bali oder von Vietnam oder von Burma, derzeit ist Burma nicht betretbar. Vor zehn Jahren war es das noch. Aber es ist mir bewusst, dass hier andere politische Systeme herrschen und die Freiheit dieser Menschen, die ich so sehr bewundere im Alltag, das Lächeln der Burmesinnen oder der Vietnamesinnen und die Offenheit gegenüber Fremden, stößt auch sehr bald an eine Grenze in ihrem eigenen Land, wo ihre persönliche Freiheit oft genug unterdrückt wird.
Wenn ich zurückkomme nach Österreich, fällt mir auch der soziale Fortschritt oder die soziale Komponente auf. Hier funktioniert ein Bildungssystem, natürlich auch das Gesundheitssystem, die Polizei, die Müllabfuhr, so ziemlich alles an sozialen Errungenschaften. Das funktioniert in diesem Land und dennoch stoßen wir uns immer wieder quasi an dem Gedanken, wieso geraten alle diese Errungenschaften, diese sozialen Errungenschaften, demokratisch errungen, in Gefahr unterdrückt zu werden. Was kann ich dagegen tun? Aufklären, Vorträge, Bildung, erzählen, wie es wo anders ist, auf Gefahren hinweisen. Mehr kann ich persönlich nicht tun und das versuche ich auch und das tue ich.
Lucian Mayringer nähert sich dem Thema aus einer politischen Perspektive. Er ist Innenpolitikjournalist der Oberösterreichischen Nachrichten, arbeitet in der Wiener Redaktion und analysiert von hier aus viele Vorgänge. Er ist, wie er selbst sagt, ein unerschütterlicher Optimist. Lucian Mayringer kenne ich durch unsere Kinder, daher sind auch wir per Du. Zur Demokratie gehören ja friedliche Machtwechsel ebenso wie Gewaltentrennung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Was Demokratie ist, erklärt Lucian Mayringer so:
Gut, das kann man im Wortsinn, das heißt die Macht geht vom Volk aus, definieren, heißt im konkreten Fall in Österreich, dass wir eine parlamentarische Demokratie haben, das heißt der Souverän, das Volk, vergibt treuhändisch diese Macht bei Wahlen, heuer noch dazu in einem, manche sagen Superwahljahr, sehr dichten Wahljahr und dann wird im Parlament, wir haben eine Parteiendemokratie, diese Macht entsprechend dem Wahlergebnis verteilt und werden dort die Interessen vertreten. Das ist grundsätzlich einmal die Struktur, die wir in Österreich haben.
Was bedeutet es für dich persönlich? Du bist innenpolitischer Redakteur, beobachtest die innenpolitische Szene, daher auch mögliche Wendungen und Wandlungen innerhalb der Demokratie. Für dich als Menschen, was bedeutet es für dich? Ist das was Wichtiges? Ist das was weniger Wichtiges? Kann man das ändern?
Essenziell wichtig, es bedeutet eine möglichst breite Mitbestimmung in den gesellschaftlich relevanten Lebensbereichen und in einer, sage ich einmal, elaborierten Demokratie bedeutet das nicht nur, dass hier Mehrheitsansprüchen entsprochen wird, sondern dass auch Minderheiten möglichst weit berücksichtigt werden.
Das heißt, ich nehme die Menschen in diesem Fall, wenn ich es auf den Bundesstaat herunterbreche, in diesem Land möglichst breit mit, wenn es um die Organisation des Zusammenlebens geht.
Wählen zu gehen ist ja ein Privileg, das wir in der Demokratie haben. Viele Menschen auf der Welt haben dieses Privileg nicht. Immerhin ist die Hälfte aller Länder der Erde in der einen oder anderen Form demokratisch. Was im Umkehrschluss aber heißt, dass in rund der Hälfte aller Länder dieses Privileg eben nicht existiert. Wählen zu dürfen, auch um einen friedlichen Machtwechsel herbeiführen zu können, ist also ein wichtiges Element der Demokratie. Aber bedeutet das allein schon Demokratie, Stefanie Fridrik?
Ja.
Bedeutet es noch viel mehr?
Absolut, absolut. So sehr ich davon Abstand nehme, so Pauschalaussagen zu machen, wenn es um demokratisches Zusammenleben geht, würde ich das trotzdem unterstreichen. Also ja, Demokratie bedeutet auf jeden Fall mehr als zur Wahl zu gehen. Allein schon deshalb, weil wir in Österreich mit einer großen Anzahl an Menschen zu tun haben, die aufgrund ihrer nicht österreichischen StaatsbürgerInnenschaft nicht zur Wahl gehen dürfen oder zu vielen der Wahlen nicht gehen dürfen, nicht zu allen. Das heißt, und das ist aber auch ein Problem, also das will ich gar nicht absprechen, dass das tatsächlich ein großes Problem ist für unseren demokratischen Staat. Aber Demokratie als Fokus auf das Gemeinwesen und auch auf das Gemeinwohl bedeutet dann eben noch viel mehr. Das bedeutet eben, wie ich schon angesprochen habe, verschiedene Formen von Beteiligung und Partizipation, vor allem auch in der Alltagspraxis. Das heißt zum Beispiel, die Gestaltung kommunaler öffentlicher Räume wäre so ein Fall.
Auf der Bezirksebene findet das ganz oft statt. Da braucht es keine österreichische StaatsbürgerInnschaft. Da können BürgerInnenräte gemeint sein, für die oft auch keine StaatsbürgerInnschaft notwendig ist. Das wäre quasi eine Form von Teilhabe, die außerhalb dieser formalisierten institutionellen oder institutionalisierten demokratischen Prozesse stattfindet, die eben Wahlen zum Beispiel sind. Das bedeutet aber auch, und jetzt komme ich wieder zurück zu diesem agonistischen Verständnis, das ich vorher kurz versucht habe zu erklären, in wirklich aller, aller Kürze, das bedeutet auch, dass wir in einen Konflikt treten können. Das heißt, Kontroversen hinnehmen, Widersprüche hinnehmen, die eine demokratische Gesellschaft ausmachen. Die Dinge sind nicht immer so eindeutig.
Es gibt Ambiguität. Damit brauchen wir eine Ambiguitätstoleranz. Wir müssen tolerieren, dass genau diese Werte oder diese Verständnisse, die Verständnisse dieser Werte mehrdeutig sind.
Grundsätzlich gehört zur Demokratie natürlich, dass man wählen gehen kann. Darüber haben wir gerade gesprochen. Es gehört natürlich auch Rechtsstaatlichkeit dazu, Meinungsfreiheit. Was gehört denn noch als Basis zur Demokratie dazu, damit es überhaupt eine Demokratie ist?
Neben Grund- und Menschenrechten, die immer unterschiedlich rechtlich verbrieft sind in verschiedenen Staaten. In Deutschland gibt es das Grundgesetz, das gibt es so in Österreich nicht. Aber in Österreich gibt es zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, die ratifiziert ist und im Verfassungsrang steht. Es gibt auch andere im Verfassungsrang stehenden Gesetze, die jetzt nicht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention stammen, die Menschenrechte und Grundrechte nennen und betreffen. Sie haben die Rechtsstaatlichkeit schon angesprochen, die zentral ist. Die Gewaltenteilung ist auch noch absolut zentral. Und dann würde ich sagen, die Volkssouveränität ist ein zentraler Faktor eines demokratischen Staates. Und dann, um auch soziale Gerechtigkeit zu fördern, braucht es auch Sozialstaatsprinzipien für einen demokratischen Staat.
Wie sehr darf sich die Demokratie wehren, wenn sie unter Druck gerät? Wie undemokratisch darf Demokratie werden? Ganz nach dem Toleranzparadoxon von Sir Karl Popper. Es besagt, dass es eine tolerante Macht aufgrund ihrer Toleranz intoleranten Kräften erlaubt oder ermöglicht, die eigene Toleranz einzuschränken oder abzuschaffen. Gilt das auch sinngemäß für die Demokratie? Dass also eine Demokratie aufgrund ihrer demokratischen Gesinnung undemokratischen Kräften erlaubt, sie zu unterwandern, auszuhöhlen und eventuell sogar abzuschaffen?Wie soll sich eine Demokratie also gegen undemokratische Kräfte zur Wehr setzen? Michael Schottenberg sieht das so:
Ich glaube, durch Bildung. Das ist mal der Ansatz, würde ich sagen. Alles, was wir an Verantwortung haben, wofür wir uns verantwortlich fühlen, kann nur mit Schule, Bildung, Theater, Kunst in Zusammenhang stehen. Über all diese Institutionen, würde ich sagen, ist Bildung möglich. Das Bildungssystem ist wahrscheinlich eines, neben der sozialen Absicherung, dem Gesundheitssystem, wahrscheinlich eines der wichtigsten Güter, das es zu verteidigen gilt im demokratischen Sinn eines Staates. Ich glaube, dass Schulung, Erziehung, politisches Bewusstsein, das sind bereits die Ansätze und die Samen, die später zu einem aufrechten demokratischen Verhalten und Bewusstsein führen.
Es gibt ja dieses Toleranzparadoxon. Gilt das auch für die Demokratie, dass man mit undemokratischen Mitteln versuchen darf, undemokratische Tendenzen hintanzuhalten?
Undemokratisches Verhalten zu retten, wahrscheinlich ja. Anders geht es ja eigentlich gar nicht. Es ist ein Paradoxon, wie der Titel ja schon sagt, aber wie soll man es sonst machen? Ich glaube, dass Unrecht mit Recht bekämpft werden muss. Ja, jetzt sage ich, bekämpft werden muss. Ich glaube, es muss gestattet und nicht nur gefordert, sondern auch toleriert werden, dass Intoleranz ausgehebelt werden muss, möglicherweise auch durch eine solche.
Und undemokratische Ansichten, Methoden, Meinungen dürfen auch durch undemokratische Mittel ausgehebelt werden?
Ich glaube, dass das Wesen einer Demokratie, einer wahrhaften Politik ist, mit Argumenten zu operieren. Wenn Argumente nicht mehr ausreichen, dann muss wahrscheinlich zur Verteidigung von Toleranz, auch Intoleranz benutzt werden dürfen. Sonst unterliegt sie und das wollen wir alle nicht.
Dass es Tendenzen gibt, Demokratien teilweise oder ganz auszuhebeln, das kann man an vielen Beispielen der jüngeren Vergangenheit sehen. Der Sturm aufs Kapitol in Washington, aufgestachelt durch den damaligen Präsidenten Donald Trump, der seine Wahlniederlage nicht einsehen wollte, ist ein Beispiel dafür. Viktor Orbans illiberale Demokratie in Ungarn mit radikaler Einschränkung der Medien ist ein anderes.
Die Reihe ließe sich noch fortsetzen, aber hören wir, was Stefanie Fridrik zur Frage sagt, wie sich eine Demokratie zur Wehr setzen kann und soll:
Wir haben viel über rechtliche Dimensionen gesprochen. Das betrifft jetzt dann das Prinzip der sogenannten wehrhaften oder streitbaren Demokratie. Darüber haben wir schon begonnen zu sprechen. Auch hier wiederum der Unterschied zwischen Deutschland, ein Staat, der sich als wehrhafte Demokratie versteht, und Österreich, der zwar Wehrhaftigkeit in seinen verfassungsrechtlichen Strukturen hat, aber nicht als klassische wehrhafte Demokratie verstanden wird. Da gibt es Unterschiede. Nichtsdestotrotz, ich habe schon einige dieser wehrhaften Möglichkeiten, dieser wehrhaften Regelungen angesprochen, Europäische Menschenrechtskonvention, Verbotsgesetz, die sind in Deutschland doch wesentlich stärker ausgeprägt.
Okay, also das ist so diese rechtliche Dimension, die es dort gibt. Das andere hat mit der Kommunikation zwischen politischen Entscheidungsträgerinnen und Personen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind, also BürgerInnen, zu tun. Und da würde ich sagen, sollte das Engagement, die Motivation, wieder in diese Richtung geleitet werden, nämlich diese Kommunikationsfähigkeit, dieses Kommunikationsdefizit zum Teil, auch zu verbessern, was unter anderem mit einer Stärkung von zivilgesellschaftlichen, bürgerlichen Beteiligungsprozessen zu tun hat. Das wäre ein Mittel, mal hinzuhören und sich anzuhören. Okay, zum Beispiel auf der kommunalen Ebene, was brauchen denn die BürgerInnen? Und das passiert auch. Was aber oft passiert, ist, dass man dann zuhört und die Entscheidungen dann aber nicht entsprechend beeinflussen lässt.
Das heißt, auf einer partizipatorischen Qualitätsskala, wenn man so will, Partizipationspyramide wäre so etwas, schafft man es dann gar nicht so weit hoch, obwohl eigentlich ein partizipativer Prozess hier angestoßen wird und auch gelebt wird. Und das wiederum trägt dann zu einer schlechten Kommunikation bei, weil sich Leute nicht gehört und verstanden fühlen. Das heißt, solche Mechanismen gibt es und die haben politische Parteien. Dahinter steht ein politischer Wille, ob das durchgeführt wird und wie das durchgeführt wird. Und ich würde sagen, denen gilt es zu stärken, um wieder in ein Vertrauen in demokratische Prozesse, die es ja gibt und die ja auch funktionieren. Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, die Achtung der Grund- und Menschenrechte funktionieren ja auch in Österreich und auch in Deutschland. Aber die Kommunikation zwischen das sind politische Entscheidungen, die wir treffen und das sind eure Bedürfnisse, auch eure Forderungen, da dazwischen fehlt es oft.
Man kommt dann immer wieder darauf zurück, was heißt das in der Praxis? Das ist alles schön im Konzept und in der Theorie, was heißt das in der Praxis? Und ich komme immer wieder darauf zurück, und das ist ein Mantra, Räume zu schaffen. Und damit meine ich physische Räume, die viel zu wenig existieren, die viel zu wenig genutzt und gefördert werden. Und damit meine ich aber auch Denkräume, also auch sich so weit zu öffnen, tatsächlich zuzuhören, wo da Bedürfnisse liegen. Und dass diese Bedürfnisse sich auch sehr stark unterscheiden, je nachdem in welchen Situationen sich diese Personen, mit denen man gerade spricht, befinden. Und deswegen, jetzt sind wir beim Begriff der Diversität, braucht es möglichst viele verschiedene Personen, die in solchen Gesprächen teilnehmen, um die Erfahrungswerte und die Erfahrungshorizonte dieser Personen mit einzubeziehen. Damit es eben eine tatsächliche Repräsentativität von Entscheidungen gibt.
Die Frage, wie wehrhaft die österreichische Demokratie nach innen ist, habe ich auch dem Innenpolitik-Journalisten Lucian Mayringer gestellt. Er beantwortet sie nicht mit ungeteiltem Optimismus, verweist aber darauf, dass es zumindest verfassungsrechtlich nicht mehr so leicht zu Ereignissen kommen kann, die das Ende des Parlamentarismus bedeuten, wie in den 1930er Jahren in Österreich. Wie wehrhaft ist also die Demokratie in Österreich?
Noch sehr aus meiner Sicht. Wir haben eine elaborierte Bundesverfassung, die eigentlich sehr viel beinhaltet, dass zum Beispiel, wenn ich jetzt an die schlimmen Entwicklungen der Ersten Republik denke, heute nicht mehr so leicht möglich wären. Da muss ich auch wieder dazu erwähnen, hätte man damals eine derartige Öffentlichkeit gehabt, also eine derartige freie Medienszenerie gehabt, wäre das Dollfuss nicht so gelungen. Das heißt, ich glaube schon, dass unsere Demokratie heute sehr resilient ist.
Aber das kann natürlich nicht die Botschaft sein, sich darauf auszuruhen, sondern das muss natürlich bedeuten, dass wir weiterhin hellwach bleiben. Ich möchte da nur ein Beispiel noch anführen. Es war die FPÖ, die bei der türkisblauen Regierung als ein ganz besonders wichtiges Leuchtturmprojekt die Stärkung der direkten Demokratie vorangetrieben hat. Da haben wir gerade vor wenigen Wochen 14 Volksbegehren gehabt, wo wahrscheinlich die meisten Menschen in diesem Land keinen Überblick mehr hatten. Die schöne Message dahinter ist natürlich, wir wollen, dass nicht irgendwelche Parlamentarier in geheimen Verhandlungen über euer Wohl oder über dieses und jenes entscheiden. Ihr habt die Möglichkeit, direkt zu entscheiden. Einerseits diese Flut, andererseits aber auch die Gefahr, dass hier über Lobbys, über auch politische Lobbys, Parteiinteressen sehr stark forciert werden und dann auch mangels Expertise beim Bürger durchgesetzt werden.
Damals war ja auch die Idee, dass ab einem relativ geringen Level das Parlament verpflichtet ist, diesen Volksentscheid zu übernehmen. Also was zuerst wie eine Stärkung der Demokratie aussieht, ist in unserem parlamentarischen System eine Schwächung. Denn worauf basiert das? Wir setzen auf gewählte Abgeordnete, die idealerweise in allen wichtigen Lebensbereichen oder in ihren wichtigen Lebensbereichen Expertise mitbringen und in einer zunehmend komplexeren Welt in den Parlamenten demokratische Entscheidungen herbeiführen.
Dass es vor allem Rechtsextremisten sind, die die westlichen Demokratien unter Druck setzen wollen, ist unbestreitbar. Macht das einen genauen innenpolitischen Beobachter besorgt?
Rechtsextremisten sind für mich ganz und gar das Gegenteil von Demokraten. Grundsätzlich bekämpft der Rechtsextremismus die demokratische Teilhabe. Da gibt es Führerprinzipien, da gibt es also autoritäre Strukturen, Fantasien, die leider, wenn man in die Vergangenheit schaut, ja immer wieder in Krisensituationen, und vielleicht haben wir im Augenblick mehr multiple Krisensituationen, oder ganz sicher haben wir das, immer wieder sehr erfolgreich waren. Ich sehe diese Tendenzen auch. Aber wie gesagt, ich bin ein optimistischer Mensch und sage grundsätzlich, sie sind nicht so weit gediehen, dass sie bei uns zum Beispiel schon eine sehr große oder sehr breite Zustimmung haben. Das sind einzelne Spots, die wie gesagt unter Beobachtung zu erhalten sind, die sehr schnell wachsen können, wie wir aus der Vergangenheit wissen, und die, und das ist halt das Problematische, in demokratisch gewählten Parteien durchaus Nährboden finden. Und das ist das Gefährliche oder das Gefährlichste an diesen Entwicklungen.
Da ist vor allem aus demokratiepolitischer Sicht die FPÖ quasi unter Beobachtung, weil es Kontakte immer wieder zu Rechtsextremisten gibt, Beispiel Sellner, um nur einen davon zu nennen. Wie gefährlich ist denn das und wie kann sich die Demokratie gegen solche Tendenzen zur Wehr setzen als Demokratie?
Auch da möchte ich ganz kurz ein wenig ausholen. Wenn wir jetzt über Rechtsextremismus reden, da sind zum Beispiel Identitären eine große Gruppe, die auch vom Dokumentationsarchiv immer wieder prominent genannt wird. Das sind tatsächlich Rechtsextreme, die haben ihre Vorstellungen von einer Kulturnation, die alleinig den Anspruch hat, auf dem Staatsgebiet bestimmend zu gestalten und so weiter. Aber was mich viel mehr interessiert in der politischen Berichterstattung und Beobachtung, ist der Rechtspopulismus. Und der unterscheidet sich dann doch, denn die Rechtspopulisten agieren grundsätzlich europaweit auf zwei Vektoren. Der eine ist der Vertikale, das hat schon Jörg Haider und andere haben das betrieben, die gesagt haben, wir da unten, ich stelle mich raus aus dem System des politischen Establishments. Ich bin einer von euch und ich bekämpfe mit euch die da oben, weil die da oben nicht das Richtige für euch tun, beziehungsweise sogar euch nur ausnützen.
Und dann gibt es noch die Horizontale, wo man sich in die Gruppe der Autochtonen zum Beispiel stellt und sagt, die Ausländer oder die Zuwanderer oder die Migranten sind schuld an diesem und jenem. Die bleibt immer wieder. Das Gute muss man dazu sagen bei den Populisten, gute unter Anführungszeichen ist, wenn diese Populisten so erfolgreich sind in Regierungen zu kommen, dann sind sie in diesem Aufzug von unten nach oben und es fällt ihnen wahnsinnig schwer, die Geschichte zu erzählen von dem, der sich aus dem System herausstellt, weil sie plötzlich in Regierungsverantwortung sind. Aber das habe ich sehr weit ausgeholt. Ich weiß, um das noch einmal zusammenzuführen, es gibt in der FPÖ durchaus Vertreter, die nahe Verhältnisse zu den erwähnten Identitären, also zu Rechtsextremen haben, beziehungsweise es gibt sogar einen Parteichef, der gesagt hat, das sei eine NGO, also eine Verharmlosung dazu gebracht hat. Über diesen Transfer kommt dann diese Ideologie auch mitten in unser demokratisches System, in unsere Parlamente und dann wie gesagt, dann müssen alle Alarmglocken läuten, dann muss man dagegen halten.
Zum Zeitpunkt, als dieser Podcast erstellt wird, ist eine Spionageaffäre rund um den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Egisto Ott ein riesiges Thema in Österreich. Die Aufarbeitung und die Details können Sie an anderer Stelle hören, etwa in der „Dunkelkammer“ von Michael Nikbakhsh. Für die Demokratie ist die Frage wichtig, wie sehr so eine Affäre eigentlich die Republik und die Demokratie unterminieren. Lucian Mayringer mit einer ganz klaren Ansage:
Sehr. Ich habe das vor einigen Tagen auch in einem Kommentar geschrieben. Es ging darum, dass im Jahr 2000 die ÖVP von der SPÖ nach langen Jahren das Innenministerium übernommen hat. Und da war damals der Innenminister Ernst Strasser und der hat sich ja berüchtigt dafür gemacht, dass er nicht nur in den politischen Funktionen und Ämtern, Kabinette werden natürlich immer ausgetauscht, sondern auch bis hin, weit hinunter, dort eine Umfärbeaktion durchgeführt hat. Dann gab es auch einige Jahre oder vor einigen Jahren, bis 2019, einen eigenen Untersuchungsausschuss zum Geheimdienst, wo auch vieles von dem noch aufgearbeitet worden ist. Auch wenn der Anlassfall diese berühmte Razzia war, die unter Kickl orchestriert worden ist und eingefädelt worden ist. Aber wenn Parteien allzu sehr die geliehene Macht als Einladung zur Selbstbedienung sehen und dann, wie es eben in diesen Jahren davor war, Personalpolitik nach eigenen Vorstellungen gemacht wurde, dann ist dort schon ein Ungeist eingezogen, der dann noch, und jetzt wird es gefährlich, im politischen Sinne genutzt wurde. Das heißt, man hat dort ganz gezielt nach ideologischen Vorstellungen in hochsensiblen Bereichen und ein Geheimdienst, wie das das BVT war und heute die DSN, dann wird es wirklich auch für die Republik gefährlich, denn hier geht es um hochsensible Daten und hier geht es um Befugnisse, die man mit sehr viel Bedacht vergeben und auch anwenden muss.
Ist es ein Zeichen der Schwäche für die Demokratie, dass eine solche Spionageaffäre überhaupt passieren kann? Oder ist es ein Zeichen der Stärke, dass sie aufgedeckt wurde und immer neue Einzelheiten ans Licht kommen? Michael Schottenberg stellt sich klar auf eine Seite:
Es ist auf jeden Fall ein Zeichen von Stärke, dass man sehr offensiv damit umgeht. Ich weiß nicht, wie man damit umgegangen wäre, oder eigentlich weiß man es ja, wenn das nicht sozusagen an die Öffentlichkeit gekommen wäre. Es wäre weiter verdeckt gewesen, beschützt gewesen durch das Nichtwissen von anderen. Heißt aber nicht, dass es nicht in jeder positiven Form bei Menschen, die quasi Gutes meinen, nicht auch genau das Gegenteil gibt. Wenn man aufklärt, wenn man aufdeckt, wenn man etwas zur Sprache bringt, ist es in jedem Fall besser als das Gegenteil. Und die Demokratie und unser Staat muss das alles aushalten und muss offensiv dagegen auftreten, auch politisch wahrscheinlich. Denn das ist ein Verhalten, das unsere Gesellschaft aushebelt.
Das war die heutige Folge von „Ganz offen gesagt Spezial“ zum Thema, ob unsere Demokratie in Gefahr ist. Das nächste Mal wird es um die Frage gehen, ob und welche demokratisch gewählten Parteien die Demokratie in Gefahr bringen können. Feedback und konstruktive Kritik gerne an die Podcast-Plattform Missing Link. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal, sagt Fabio Polly.