Fabio Polly spricht in diese Spezialfolge von "Ganz offen gesagt" mit seinen Gesprächspartner:innen darüber, ob auch demokratisch gewählte Parteien für die Demokratie eine Gefahr darstellen können. Wird die Demokratie von innen unterwandert, weil sie eine arbeitsintensive und daher auch mühsame Regierungsform ist? Und gibt es die perfekte Demokratie?
Im zweiten Teil einer fünfteiligen Spezial-Serie von "Ganz offen gesagt" zum Thema "Demokratie in Gefahr" beschäftigen sich Host Fabio Polly und seine Gäste mit den Fragen, ob auch demokratisch gewählte Parteien für die Demokratie eine Gefahr darstellen können und ob die Demokratie von innen unterwandert wird, weil sie eine arbeitsintensive und daher auch mühsame Regierungsform ist, was die Demokratie schützt und ob in Österreich die Demokratie wirklich in Gefahr ist. Der Meinungsforscher Peter Hajek führt aus, wie so er den Begriff der "illiberalen Demokratie" für einen Schwachsinn hält und wieso er es für problematisch hält, wenn die FPÖ das Ungarn von Viktor Orban als Vorbild nennt. Politikwissenschaftler Heinz Gärtner erklärt unter anderem die verschiedenen Abstufungen von Demokratien und wo Österreich hier steht. Demokratieforscherin Stefanie Fridrik betont, dass eine für alle geltende Garantie, über verschiedene Freiheiten und Rechte zu verfügen, eine demokratische Staatsform ausmacht. Schauspieler und Autor Michael Schottenberg erklärt, warum sich viele Menschen nach einfachen Antworten sehnen. Keynotespeaker Omar Khir Alanam bring es auf den Punkt: "Demokratisch gewählte Partei heisst noch immer nicht, dass die Partei an sich demokratisch ist." Zuletzt nennt Journalist Lucian Mayringer einen wichtigen Schutzwall gegen autoritäre Tendenzen: Eine lebhafte und unabhängige Medienlandschaft.
Links zur Folge:
Michael Schottenberg (Wikipedia)
Demokratie in Gefahr – Folge #2
[00:00:03 - 00:00:28] Peter Hajek
Wenn ein politischer Akteur tatsächlich zur Abschaffung demokratischer Prozesse und Rahmenbedingungen aufruft, das ist im Grossen und Ganzen frei geheime, freie Presse etc. etc. Dann wird die Meinungsfreiheit natürlich überschritten. Und dann wäre klar, dass es hier ein Problem gibt.
[00:00:33 - 00:02:22] Fabio Polly
Herzlich willkommen zur zweiten Spezialfolge des Podcasts, ganz offen gesagt Demokratie in Gefahr. Mein Name ist Fabio Polly und ich werde mich in insgesamt fünf Spezialfolgen mit Grundsätzen und grundsätzlichen Problemen in der Demokratie auseinandersetzen. Diesmal spreche ich mit meinen Gästen unter anderem über die Frage, ob auch demokratisch gewählte Parteien für die Demokratie eine Gefahr darstellen können. Wird die Demokratie von innen unterwandert, weil sie eine arbeitsintensive und daher auch mühsame Regierungsform ist? Und gibt es die perfekte Demokratie? Hören Sie gleich mehr darüber.
Willkommen beim Thema Demokratie. Gleich vorweg, wir halten es bei ganz offen gesagt ja mit Transparenz. Weil ich nicht nur eine Gesprächspartnerin beziehungsweise einen Gesprächspartner habe, sage ich es gleich am Keine und keiner von meinen Gesprächspartnern arbeitet für eine Partei oder eine Vorfeldorganisation einer Partei. Ich werde dort, wo es angebracht ist, auch klarmachen, woher ich meine Gesprächspartner kenne und warum ich mit einigen per du bin.
Demokratie ist die schlechteste Regierungsform ausser allen anderen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat. Winston Churchill soll das als damaliger Premierminister in Großbritannien so oder so ähnlich vor dem Unterhaus gesagt haben. Der Satz bringt das Problem auf den Punkt, so sehr wir uns das auch wünschen, Demokratie ist keine perfekte Regierungsform. Ist sie aber wenigstens gefestigt, - bei uns in westlichen demokratischen Staaten - oder ist sie in Gefahr?
Peter Hayek ist ein bekannter Meinungsforscher und Politologe, den ich seit langem auch privat kenne. Er beantwortet die Frage so:
[00:02:22 - 00:05:41] Peter Hajek
Beides. Also sie ist auf jeden Fall gefestigt. Ich möchte jetzt eigentlich nur von Österreich sprechen, weil ich den Einblick in den anderen Ländern schlicht und ergreifend nicht habe. In Österreich ist sie gefestigt. Woran mache ich diese Festigkeit aus? Auf der einen Seite beim Staatssystem. Ich glaube, dass die Institutionen in großen Teilen sehr unabhängig sind.
Ich habe auch großes Vertrauen in die Justiz. Wir haben eine gute Verfassung, die uns in den letzten Jahren über einige Krisen hinweggeholfen hat. Und dementsprechend glaube ich, dass wir da auch für die Zukunft gut gewappnet sind. Und wir wissen aus der Befragung der Bevölkerung, dass wir seit Jahrzehnten eigentlich nur rund zehn Prozent haben, die wir autoritäres Potenzial nennen.
Was sind das für Menschen? Das sind Menschen, die zwei Aussagen zustimmen: „Es ist für Menschen wie mich vollkommen egal, ob ich in einer Demokratie oder Diktatur lebe.“ Oder „Ich bin der Meinung, dass in manchen Situationen eine Diktatur besser wäre, weil sie schneller und besser entscheiden kann.“ Und so stimmen wir zehn Prozent so. Aufgrund dieser demoskopischen Datenbasis würde ich sagen, es ist gefestigt. Und ich sehe jetzt keine unmittelbare Gefahr.
Jetzt kommt aber mein großes Aber. Wenn wir hinüberschauen nach Ungarn, dann sehen wir, dass eine Demokratie ganz legal beschädigt werden kann. Und stark eingeschränkt werden kann. Ich möchte jetzt noch etwas ganz Wichtiges anbringen: Es gibt bitte keine illiberale Demokratie. Das ist ein unfassbar gutes Branding und Framing von Herrn Orban. Es gibt nur eine Demokratie, und es gibt keine Demokratie. Oder im besten Fall, wie man euer Doktorvater Peter Ulmer gesagt hat, eine beschädigte Demokratie.
Es ist vollkommener Schwachsinn von liberaler vs illibberaler Demokratie zu sprechen. In Ungarn ist die Demokratie unfassbar eingeschränkt. Warum? Weil vieles mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament dort schlicht und ergreifend die Justiz unglaublich beschnitten hat. Nur ein Beispiel Es wurden zweihundert sechsundsiebzig Richter:innen mit dem zweiundsechzigste Lebensjahr Zwangspensioniert. Und dann hat man vieles neue Richter:innen neu eingesetzt. Was haben die alle damals gehabt? Eine Grippe?
Damit man sie austauschen muss? Das ging über die Jahre so weiter. In Wirklichkeit gibt es zwar Wahlen, aber bei diesen Wahlen sind Oppositionsparteien aufgrund der Medienlandschaft, aufgrund der rechtlichen Bedingungen, aufgrund des Wahlsystems, dass man natürlich auch geändert hat, unglaublich benachteiligt Und diese Gefahr sehe ich für Österreich insofern, wenn Herbert Kickl, die Freiheitliche Partei, sagt, Orban ist ein Vorbild. Oder jetzt muss man der Freiheitliche Partei sagen, wenn ihr nur die Asylpolitik meint, okay, das sei ja unbenommen, Wenn ihr das Staatswesen meint, dann haben wir ein Problem.
[00:05:41 - 00:05:54] Fabio Polly
Ist das eine grosse Schwäche der Demokratie? Dass sie sozusagen durch Wahlen demokratisch legitimiert ausgehöhlt werden kann. Die Mehrheit für den Herrn Orban ist ja auch nicht vom Himmel gefallen.
[00:05:54 - 00:06:33] Peter Hajek
Die ist nicht vom Himmel gefallen, sondern weil die Sozialisten und Sozialdemokraten in Ungarn damals einen unglaublichen Bauchfleck gelandet haben, weil der damalige Ministerpräsident bestätigt hat, dass man bei der Wahl davor, nämlich 2006, die Menschen belogen hat, die Wald zu gewinnen. Na gut, da braucht man sich auch nicht wundern. Natürlich ist das ein Problem, aber die österreichische Verfassung ist, glaube ich, ein bisschen besser gebaut als die ungarische Verfassung. Wir haben Gott sei Dank eine viel längere demokratische Tradition. Aber grundsätzlich glaube ich, dass wir da halt auch ein bisschen mehr Erfahrung haben als die jungen Demokratien in Osteuropa.
[00:06:34 - 00:06:54] Fabio Polly
Heinz Gärtner ist Politikwissenschaftler und lehrt unter anderem an der Universität Wien und am International Institute for Peace. Ihn habe ich in fünfundvierzig Jahren Radiojournalismus für den ORF durch viele Interviews kennengelernt. Daher sind auch wir, per du. Stimmt er dem Churchill Zitat von der schlechtesten Regierungsform zu?
[00:06:56 - 00:07:36] Heinz Gärtner
Ja beschränkt, insofern, weil es nicht diese eine Form der Demokratie gibt. Es gibt verschiedene Formen der Demokratie und das wird auch anerkannt bei den verschiedenen Indizes, die es gibt. Es gibt eben eine vollständige Demokratie. Wahrscheinlich hatte die Churchill vor Augen, aber von denen gab es aber auch nicht so viele damals gegeben. Dann gibt es die fehlerhaften Demokratien, die hybriden Demokratien und dann die Autokratien. Also die Demokratie hat Mängel. Bei den Demokratien gibt es natürlich verschiedene Formen und Abstufungen.
Ja, Demokratie ist natürlich besser als Autokratie. Insofern hat Churchill schon recht.
[00:07:36 - 00:07:40] Fabio Polly
Wenn es bessere und schlechtere Demokratien gibt, in welcher leben wir dann?
[00:07:40 - 00:09:28] Heinz Gärtner
Es gibt an und für sich nach den Statistiken, das ist eine irreführende Zahl, leben nur acht Prozent der Weltbevölkerung leben in vollständigen Demokratien. Das ist aber irreführend, weil China und Indien natürlich nicht zu vollständigen Demokratien gezählt werden, aber die die bevölkerungsreichsten Länder sind. Die vollständigen Demokratien immerhin machen die vierundzwanzig Länder aus in der Welt, durch fünfzehn Prozent. Aber auch nicht alle europäischen Länder sind vollständige Demokratien, oder auch nicht die USA. Die USA zählen zu den fehlerhaften Demokratien genauso wie etwa Indien, Belgien, Kroatien, Israel. In Europa gibt es natürlich die größte Anzahl von vollständigen Demokratien.
Österreich liegt da ziemlich am Rande, gerade noch bei den vollständigen Demokratien, bevor es in die mangelhaften Demokratien an achtzehnter Stelle und in Österreich mangelt es vor allem bei den Kriterien der politischen Kultur und der Pressefreiheit, wo Österreich einen relativ schlechten Platz - jetzt sind wir auf Platz fünfundzwanzig abgerutscht - auf Platz fünfundzwanzig, einnehmen. Von daher leben wir schon in Demokratien, vor allem in Westeuropa. Aber es gibt da auch in Europa verschiedene Formen. Natürlich Polen und Ungarn und wenn man jetzt Türkei zu Europa zählt, da haben sich die Demokratiewerte schon verschlechtert.
[00:09:29 - 00:09:35] Fabio Polly
Was ist denn das Mangelhafte an deiner Demokratie? Wann ist deine Demokratie mangelhaft oder fehlerhaft?
[00:09:36 - 00:11:13] Heinz Gärtner
Man kann politologisch verschiedene Kriterien anwenden. Die übliche, allgemeine Definition von Demokratie lautet, dass Demokratie eine politische Methode ist, die die Möglichkeit beinhaltet, für einen friedlichen Machtwechsel in gewissen Zeitabschnitten mit der Beteiligung eines Grossteils der Bevölkerung. Es muss da auch das Konkurrenzelement vorhanden sein und damit gemeint ist auch, dass die politische Entscheidung vom Volk ausgeht. Das ist aber eine institutionelle und rein politische Definition. Aber wir haben dann natürlich nicht noch auch diese zivilen Freiheiten. Das ist natürlich die Versammlungs-, Organisationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, die Reisefreiheit. Alle diese Dinge sind nicht ganz klar zu beurteilen. Und da gibt es sehr viele Einschränkungsmöglichkeiten.
Der politische Machtwechsel ist klar definiert. Es gibt aber jetzt Möglichkeiten, wo zu viele Rechte eingeschränkt werden. Und manche Politologen sprechen dann, dass es in einzelnen Ländern in Richtung illiberaler Demokratie gehen würde. Ich muss dazu sagen, dass Österreich gut abschneidet bei dem Kriterium des Justizystems, allerdings beim Korruptionsindex und beim Pressefreiheitsindex schlecht abschneidet.
[00:11:13 - 00:11:24] Fabio Polly
Stefanie Fridrik, Demokratieforscherin, Projektmanagerin und Trainerin am Demokratiezentrum in Wien erklärt, warum aus ihrer Sicht die Demokratie die denkbar beste Regierungsform ist.
[00:11:24 - 00:12:22] Stefanie Fridrik
Weil sie erlaubt, dass die Herrschaft vom Volk ausgeht. Dass wir darüber diskutieren können, wie wir Werte und Wertsetzungen verstehen. Das sie erlaubt, dass wir unsere Meinung frei äussern können, wenngleich es dafür auch Einschränkungen gibt und braucht. Das heißt, diese Form von verschiedenen Freiheiten und Rechten und die Garantie, dass wir alle diese haben, das macht eine demokratische Staatsform und auch eine demokratische Gesellschaft aus. Im Idealtypus. Wir sehen und wissen aber auch, dass dieser Idealtypus nicht immer gleichermaßen eingelöst wird, vielleicht auch werden kann. Und deshalb braucht es noch mal dieses permanente Ringen, diesen permanenten Wettstreit Machtverhältnisse in einem Staat und in einer Gesellschaft, in einer sozialen Ordnung oder in verschiedenen sozialen Ordnungen.
[00:12:22 - 00:12:44] Fabio Polly
Wettstreit und Ringen die Macht, aber mit demokratischen Mitteln. Das heisst Konkurrenzkampf. Es heisst aber nicht, Konkurrenten zu vernichten. Verbal ist in diesem Ringen die Macht durch harte Worte schon so manche Grenze verschoben worden. Michael Schottenberg, Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor und erfolgreicher Buchautor, hat einen kulturpolitischen Blick auf dieses Ringen.
[00:12:44 - 00:14:09] Michael Schottenberg
Die Demokratie stößt immer wieder an die eisernen Wände der Intoleranz, der Diktatur, der vorgeschriebenen Meinung, der undemokratischen Meinung, sie stößt immer daran. Sie schlägt sich die Nase blutig. Denn es ist immer schwierig, ein aufrechtes Verhalten gegen ein nicht aufrechtes Verhalten hochzurechnen. Der aufrechte Demokrat wird sich immer schwertun gegen undemokratische Lebensregeln. Und weil es ja in seinem System nicht funktioniert, mit Gewalt oder mit einer vorgeschriebenen Verhaltensmaßregelung zu operieren.
Ich will so sagen, in einer galoppierenden Globalisierung versteht der Mensch irgendwann mal die Welt und Zusammenhänge nicht mehr. Aufrechte, ehrliche Zusammenhänge werden oft so verwirrend, dass man sich geradezu nach einfachen Antworten sehnt. Und gerade das ist das Problem: Simple, einfache Antworten sind schnell zur Hand. Das hat aber mit autoritären Systemen zu tun und man unterliegt sehr, sehr schnell quasi undemokratischen Regeln.
[00:14:10 - 00:14:45] Fabio Polly
Wie sieht das jemand, der persönliche Erfahrungen mit undemokratischen Regeln hat? Der nicht in einer Demokratie aufgewachsen ist? Der aus einem autoritären Regime flüchten musste, weil er es dort nicht mehr ausgehalten hat? Omar Khir Alanam sagt von sich selbst etwas kabarettistisch scherzhaft: Er sei derjenige, den deshalb jeder Politiker kennt. Er ist vor dem Assad Regime in Syrien über mehrere Stationen nach Österreich geflüchtet. Hier hat er sich einen Namen gemacht als Autor, Keynote Speaker, Trainer und Dancing Stars Teilnehmer. Über das Gefühl, aus einer Diktatur in eine Demokratie zu kommen, sagt er:
[00:14:45 - 00:15:40] Omar Khir Alanam
Ich habe mich gespürt vor allem. Ich habe gespürt: Ich bin Ich. Das erste Mal, als ich mich frei gefühlt habe, war nicht tatsächlich das erste Mal in Österreich, sondern in Syrien, wo ich das erste Mal auf einer offene Straße in der Menge ging und das erste Mal in meinem Leben das Wort laut gesungen habe: Freiheit. Herie, Herieeh!
Also Freiheit, Freiheit. Ich spüre mich. Das ähnliche Gefühl habe ich hier in Österreich gespürt. Aber eben ohne dass ich jetzt diese Angst mich herum spüre. Dass ich jetzt erschossen werde, weil ich jetzt das Wort laut aus dem Mund lasse, schreie oder singe. Ich habe mich und meine Existenz gespürt. Ich sage, ich habe erst die Stimme im Österreich bekommen und durch die Stimme habe ich meine Existenz bekommen.
Weil ich bin ich, Omar, ich äussere mich, ohne diese Angst haben zu müssen.
[00:15:40 - 00:15:46] Fabio Polly
Versuche, von Parteien demokratische Grundsätze auszuhöhlen, sieht er so:
[00:15:47 - 00:17:06] Omar Khir Alanam
Zynisch? Und der klassische Weg sozusagen. Ich habe irgendwie einmal die Aussage gehört, demokratisch gewählte Parteien heisst noch immer nicht, dass die Partei an sich demokratisch ist. Und das ist halt das Muster, das immer wieder passiert, dass eben gerade ohne eine Partei zu benennen, undemokratische Leute die Demokratie ausnutzen, um dann die Demokratie abzubauen. Und das ist halt das Zynische. Und dann kommt hier: Was soll hier passieren, dass so etwas nicht mehr möglich ist? Man kann Verbote formulieren, man kann auch über Gesetze sprechen etc. Das ist nicht mein Bereich.
Ich bin der Meinung, dass so etwas und Demokratie gerade unbeschreiblich viel Aufklärung und Arbeit braucht. Mein Großvater hat immer gesagt, zwei lernen nicht, der Schüchterne und der Stolze. Denn der Schüchterne traut sich nicht, Fragen zu stellen und der Stolze glaubt alles zu Wiese. Und manchmal, und ich sage das und formuliere ganz vorsichtig, die kommen mir Europäer auch vor, als die Stolzen, die sagen: Wir haben es geschafft, wir sind schon angekommen, wir sitzen am Gipfel der Zivilisation, am Gipfel der Demokratie, der Entwicklung, der Aufklärung. Und vergessen oft, dass diese Arbeit, die Friedensarbeit und Demokratiearbeit, alltägliche Arbeit, die nie aufhört, viel, viel, viel mehr Arbeit gehört hier.
[00:17:06 - 00:17:13] Fabio Polly
Aus deiner Sicht wird das zu wenig gemacht, diese Aufklärung, diese pädagogische Arbeit für die Demokratie?
[00:17:14 - 00:17:15] Omar Khir Alanam
Aus meiner Sicht ja.
[00:17:15 - 00:17:25] Fabio Polly
Was uns zur Frage führt, ob demokratisch gewählte Parteien damit auch schon automatisch demokratisch sind. Meinungsforscher Peter Hayek hat deine klare Antwort parat:
[00:17:25 - 00:17:26] Peter Hajek
Nein.
Es kommt darauf an, ob man von der inneren Demokratie der Partei spricht. Sie ist natürlich nicht automatisch demokratisch, sie ist nur demokratisch legitimiert. Und das ist halt etwas anderes. Ich unterstelle ehrlich, keiner österreichischen Partei, dass sie vorhat die Demokratie in Österreich zu beschädigen. Ich glaube, da sind wir wirklich weit davon entfernt, aber es sind natürlich ganz andere Spielräume und politische Ideen, die da ins Spiel kommen. Und eigentlich hat das ja Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video ziemlich klar skizziert, wohin die Freiheitliche Partei gedacht hat und heute vielleicht auch noch denkt. Das heißt nicht, dass sie die Demokratie in Österreich abschaffen wollen, sondern dass sie sie halt anders gestalten wollen.
Und da stellt sich halt die Frage, wie das geschehen kann. Aber wie gesagt, auch in Österreich braucht man für Verfassungsgesetze eine Zweidrittelmehrheit. Man ist in Österreich meilenweit davon entfernt, dass irgendeine Partei diese Zweitdrittelmehrheit erreicht. Und wir haben ja sogar das Thema, das auch die Koalition keine Zweidrittelmehrheit hat. Es gibt nur den Umkehrbeschluss: Die ÖVP hatte unter Sebastian Kurz die Sperrminorität. An ihr vorbei konnte man keine Verfassungsgesetze verabschieden.
[00:18:44 - 00:18:55] Fabio Polly
Reichen Äußerungen schon aus, eine Partei undemokratisch zu machen? Was ist da das Maß der Dinge?
[00:18:55 - 00:19:41] Peter Hajek
Das ist wahnsinnig schwer festzustellen. Ich bin schon der Meinung, dass das oberste Gut die Meinungsfreiheit sein muss. Wir wissen, dass die Amerikaner das sehr weit auslegen. Wir haben den Verhetzungsparagraphen, alles andere ist fast schon eine philosophische Frage. Es ist natürlich wahnsinnig schwer, dieses Thema einzufangen. Wenn ein politischer Akteur tatsächlich zur Abschaffung demokratischer Prozesse und Rahmenbedingungen aufruft. Das ist im Grossen und Ganzen frei geheime Wahlen, eine freie Presse etc, etc, dann wird die Meinungsfreiheit überschritten.
Und dann wäre klar, dass es hier ein Problem gibt.
[00:19:41 - 00:19:49] Fabio Polly
Wie soll ein Staat reagieren, wenn seine Demokratie in Gefahr ist? Der Politikwissenschaftler Hans Gärtner verweist vor allem auf die jeweilige Landesverfassung.
[00:19:50 - 00:21:19] Heinz Gärtner
Demokratische Staaten haben auch Verfassungen. Klarerweise müssen sich die Staaten an die demokratischen Verfassungen halten mit alledem, was dazugehört, politische und administrative Vorgaben. Es ist klar, dass der Staat reagieren muss, wenn diese Verfassungrechte verletzt werden. Allerdings darf man den Bogen auch nicht überspannen, nur weil eine Partei den üblichen Vorstellungen von westlichen Werten nicht so ganz entspricht, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht in einem demokratischen Prozess teilnehmen dürfen. Die Freiheit bei Wahlen anzutreten, ist von verschiedenen Ländern unterschiedlich geregelt, aber die muss gewährleistet werden. Und die rechtspopulistischen Parteien sind natürlich unangenehm, haben also unangenehme Forderungen. Aber wenn man sich die Daten anschaut, dort wo es große rechtspopulistische Parteien gibt, etwa in Frankreich und Italien, so haben sich seit den letzten 18 Jahren die Demokratiewerte sich nicht verändert haben.
Sie sind also gleich geblieben, obwohl Italien auch ein Land ist, das zu den fehlerhaften Demokratien gezählt wird. Aber die Existenz allein von rechtspopulistischen Parteien ist nicht ein Grund dafür, dass Demokratie eingeschränkt wird.
[00:21:19 - 00:21:36] Fabio Polly
Die linke achtundsechziger Generation hat es sich damals zum Ziel gesetzt, durch den Marsch durch die Institutionen an die Schalthebel der Macht zu gelangen. Sehen wir diesen Versuch heute von der rechtsextremen Seite? Heinz Gärtner sieht zwar die Idee, aber keine allzu große Gefahr darin.
[00:21:37 - 00:23:24] Heinz Gärtner
Das ist eine Methode, die offenbar damals nicht nur von Linken überlegt wurde. Es war ja nicht wirklich erfolgreich, man soll das auch nicht überbewerten, aber es war natürlich eine Idee. Und natürlich alle politischen Gruppierungen wollten an die Schalthebel der Macht gelangen. Wenn jetzt Rechtsparteien in Institutionen kommen, in Regierungen kommen, tut das vielen natürlich auch weh. Aber die Demokratie muss jetzt achtsam sein, dass diese Machtpositionen auch nicht ausgenutzt werden, demokratiefeindliche Aktionen zu setzen, beziehungsweise die demokratiefeindliche Politik zu betreiben. Aber man kann das jetzt, glaube ich, nicht verhindern, dass wenn Parteien durch Wahlen Erfolge haben, ohne dass sie die Verfassung oder die Demokratie direkt infrage stellen, dass man die verbietet. Das ist eine Grauzone.
Aber eine Einschränkung der Demokratie ist, wenn man sehr mit Augenmaß und Vorsicht vornehmen, weil es dann leicht dazu kommt, dass staatliche Behörden dann überreagieren. Und wir haben das gesehen auch in den USA nach dem elften September. Es ist natürlich legitim, terroristische Aktionen zu verhindern. Aber da wurde ein umfassendes Überwachungssystem eingeführt. Im Namen des Kriegs gegen den Terror wurden zivile Freiheiten eingeschränkt. Und das muss man mit Vorsicht genießen, wenn man annimmt, dass es eine Gefahr von irgendwelchen politischen Gruppierungen, ob jetzt rechts oder links, zu sehen ist.
[00:23:24 - 00:23:34] Fabio Polly
Auch der Politologe Peter Hayek sieht darin keine echte Gefahr, unterstreicht aber einige Unterschiede, man sich dem Thema aus österreichischer Sicht oder aus internationaler Sicht nähert.
[00:23:35 - 00:26:04] Peter Hajek
Wir müssten schon Unterscheidungen treffen. Man muss schon trennen zwischen den osteuropäischen und westeuropäischen Ländern. Machen wir es ganz einfach. Die Freiheitliche Partei ist in Landesregierungen, war in Landesregierungen, gut Jörg Haider wahr kein Ruhmesblatt, der hat die Demokratie in Kärnten nicht gefährdet oder abgeschafft, aber das Land fast in den finanziellen Ruin geführt, gemeinsam mit der Hypo Alpe Adria. Aber die Freiheitliche Partei war jetzt dreimal in der Regierungsverantwortung und man kann jetzt nicht sagen, dass es da irgendwie ein Problem gegeben hätte. Ich sehe auch dieses Problem aktuell nicht in Italien.
Georgia Meloni ist überraschend pragmatisch. Außerdem ist der Blick von außen immer anders als von innen. Sie hat zwar einen Verfassungsvorschlag gemacht, der war bedenklich. Nämlich, dass der Gewinner in beiden Kammern dann automatisch fünfundfünfzig Prozent bekommt. Das ist nicht das, was man mit Checks and Balance versteht. Wird immer damit argumentier „Aber dafür können wir schnell und mehr entscheiden“. Das ist vielleicht der Wunsch in Italien, aber die Demokratie ist sicher nicht zuträglich.
Aber das kriegt sich ganz schwer durch. Die italienische Demokratie ist auch ganz gut gebaut. Wir haben auch Silvio Berlusconi überlebt. Italien hat ihn überlebt. Wir haben in den verschiedensten Ländern die unterschiedlichsten rechtspopulistischen Gruppierungen. Aber schauen wir nach Frankreich, auch linkspopulistische Gruppierungen.
Bleiben wir in Österreich. Wir haben eine Aufstellung mit der KPÖ, wo man manchmal das Gefühl hat, sie wird ein bisschen liebevoll gestreichelt. Das sollte man für sich auch das Parteiprogramm durchlesen. Wir haben eine Tendenz zu den politischen Rändern. Und wir haben die Tendenz, dass die Traditionsparteien nicht mehr Fuß fassen. Ich sage, vielleicht haben die Christdemokratinnen und Sozialdemokraten ihre historische Aufgabe auch erfüllt. Vielleicht kommt da was Neues. Aber ich sehe jetzt ehrlich gesagt nicht die Gefahr, dass diese in dem Fall rechtspolitische Gruppierungen den Marsch durch die Institutionen antreten und dann dort die Vorhaben, die Länder demokratiepolitisch zu drehen.
Politisch ja, aber ich sehe, ehrlich gesagt, diese Gefahr nicht.
[00:26:05 - 00:26:19] Fabio Polly
Lucian Mayringer, Journalist bei den oberösterreichischen Nachrichten, war auch schon im ersten Spezial Podcast „Demokratie“ zu hören und verweist darauf, dass es aus seiner Sicht vor allem eine Methode gibt, undemokratischen Tendenzen einen Riegel vorzuschieben.
[00:26:20 - 00:27:20] Lucian Mayringer
Das wird dich jetzt wenig überraschen, wenn ich sage, eine lebhafte, unabhängige Medienlandschaft ist natürlich ein wunderbarer Cordon Sanitaire gegen Strömungen, die uns Dinge weismachen wollen, die ganz anders sind oder gedacht sind. Da sind wir in Österreich noch halbwegs gut aufgestellt. Aber wenn ich unter Druck geratene, zum Beispiel Printlandschaft, aber auch an Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk denke, gerät auch diese - manche nennen es vierte Macht im Staat - kontrollierte Macht im Staat zunehmend unter Druck. Da gilt es, dagegen zu halten, da muss ich auch sagen, da hätte ich mir auch von dieser Bundesregierung deutlich mehr Unterstützung und Förderung erwartet, als sie dann gekommen ist. Von anderen Parteien wissen wir ohnehin, welche Einstellungen es dazu gibt.
[00:27:21 - 00:27:49] Fabio Polly
Diese und andere Parteien werden im nächsten Podcast Spezial über Demokratie in Gefahr eine Rolle spielen. Am letzten Donnerstag im Juni ist es soweit, wenn Sie wieder reinhören wollen. Ich freue mich natürlich über Feedback und über konstruktive Kritik, am besten an die Podcast Plattform Missing Link unter: www.missing-link.jedia oder auf eurer Podcast Plattform. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal, sagt Fabio Polly.
Anmerkung: Das Transkript wurde halbautomatisch erstellt, etwaige Tranksriptionsfehler bitte daher zu entschuldigen.